Heloise an Abälard

Kannst du, Theurer, kannst du ihn vergessen,
Jenen feierlichen Trauertag,
Jenen Altar, zu den Füßen dessen
Jegliches von uns ein Opfer lag;
Jene Thränen, da so hoch und theuer
Warme Jugend sich der Welt entschwur,
Jenen Kuß, geweiht dem keuschen Schleier,
Aber ach, von kalter Lippe nur?
Rund umher erbebte Gottes Tempel;
Jede Kerze sank in Dämmerung;
Staunend sah der Himmel dies Exempel
Unbegreiflicher Eroberung.
Als wir drauf zum Hochaltare gingen,
O wie schlug das volle Herz in mir;
Heloisen's Aug' und Seele hingen
Nicht am Kreuze, hingen nur an dir.
Liebe, statt der Gnade, deine Liebe
War das Herzgeschrei der Schwärmerin.
Ach! wenn diese nicht ihr übrig bliebe,
So wär Alles, Alles für sie hin.
Komm denn, Liebster, komm mit Blick und Stimme!
Lindre mir den wilden Seelenschmerz!
Stimm' und Blick entzogst du ja dem Grimme
Deines Schicksals für mein armes Herz.
Laß mein Haupt an deinem Busen lauschen!
Laß, indem dein Arm mich fest umschließt,
In dem süßen Gifte mich berauschen,
Welches dir von Aug' und Lippe fließt!
Komm, o komm, du meines Leben Leben!
Alle meine Wünsche rufen dich;
Gib mir alles, was du noch kannst geben;
Und was nicht - erträumen laß es mich! -
Himmel, nein! Genuß wie dieser werde
Selbst durch deine Hilfe mir zum Spott!
Zeige mir den Himmel statt der Erde!
Abälard verschwinde mir vor Gott!
Komm und hilf! - Ach, mindestens bedenke,
Was der guten Heerde noch gebührt,
Die du zwischen Wald und Felsenbänke
Hier auf neue Weide hergeführt!
Du hast diese Freistatt aufgerichtet,
Der so manches zarte Lämmchen schon
Sich vor Wolf und Tiger zugeflüchtet,
Welche draußen seiner Unschuld drohn.
Deiner Großmuth Gaben nur bedecket,
Statt erschlichnen Gutes, dieses Dach.
Ihrem väterlichen Erbe strecket
Keine Waise hier die Hände nach.
Hier belud das sterbende Verbrechen,
Zagend vor dem nahen Strafgericht,
Den erzürnten Himmel zu bestechen,
Den Altar mit Gold und Silber nicht.
Diese schlichten ungeschmückten Hallen,
Die bescheidne Frömmigkeit erhob,
Tönen nicht von Ach und Weh, erschallen
Ganz allein von ihres Schöpfers Lob.
In dies Haus, vom Lärm der Welt geschieden,
In den Dom, von Epheu grün bedacht,
Rund umkränzt mit schlanken Pyramiden,
Und in seiner hohen Wölbung Nacht,
Wo hinein durch schmale trübe Fenster,
Wie ein stilles hehres Mondenlicht
In der Wanderstunde der Gespenster,
Selbst der sonnenhellste Mittag bricht,
Strömte Wonne sonst aus deinen Blicken,
Und schuf hohen lichten Tag umher;
Doch von jenem himmlischen Entzücken
Strahlt kein Auge, glänzt kein Antlitz mehr.
Trübe Blicke, blaß gehärmte Wangen,
Schlaffe Häupter rings umher gestehn
Ohne Worte täglich das Verlangen,
Ihren Hirten wieder hier zu sehn.
O so komm denn! Heitre das Betrübte!
Komm, mein Vater, Bruder, Gatte, Freund!
Tochter, Schwester, Gattin und Geliebte,
Alles, Alles fleht in mir vereint. -

(Fragment)

[Gottfried August Bürger]
 

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