Tigerschminke

I

Da spricht jemand durch die Tapete, gelb
und blau, Berichte, Bahnen, Katzenkämpfe
hingestottert wie im Kinderunterricht

die letzte Nacht. Nichts aufzusagen, nichts zu
deklamieren. So wie man Teppichfliesen

bringt, mit diesen pelzigen und verleimten
Stellen zwischendrin. Es knirscht bei jedem Schritt.


II

Ich sehe einen Mann auf einem Stuhl, auf
einem Hocker eher, einem Anglersitz
vom Pfennigpfeifer, im Halbdunkel ein Mann

in meinem Alter. Ich, Tigerschminke um
die Augen, spreche. Dieser Mann spricht nicht, die
Lippen formen keine Worte, die Brauen

unbewegt, nichts zeigt sich auf der Stirn. Niemand
läuft hin und her, bewegt die Arme, wie er
es gelernt hat, und niemand wiegt den Kopf und

schaut mit künstlichem Gebiß. Bitte keine
halbleere Schnapsflasche, kein umgekipptes

Glas und keinen Branntweinschweiß. Nichts ähnelt der
Konditorei, nichts dem Strand des Senegal.


III

Ich suche nach Phototapete, nach ein
paar Rollen meiner Wüstenserie mit
Rapport, nur keinen Nordlandzauber. Hinten

Schmusemusik, Hyänenwitze und der
Kinderchor von früher. Überall höre
ich diese Discounterchöre, wir singen

nach der Melodie DER EISBÄR WIMMERT, dann
noch einmal ALS WIR BEI MOSKAU DURCH

DIE HEIDE RITTEN, aber am Grabbeltisch,
Afrikablicke, ist Zittern nicht erlaubt.


IV

Ein Mann auf einem Klappsessel, fast in der
Hocke, beide Knie angezogen und
den Oberkörper leicht nach vorn geneigt, ganz

still, man sieht das Atmen kaum, die Augen nicht,
obwohl sie offen sind. Kein Standbild. Jemand

kauert da, ohne sich zu rühren, kann sein,
er hat spätabends die Zoohandlung im Kopf.


V

Neonleuchten in allen Gehegen. Hier
hört man nichts. Verkäufer drücken sich, ihre
Entschuldigungen murmelnd, vorsichtig an

mir vorbei. Einer sucht nach Regenwürmern
in der Büchse, der zweite duscht gerade
den verschorften Papagei, ein anderer

zieht mit der Küchenrolle durch die Gänge
und sammelt Hundekacke auf. Man sieht, wie
ihm die Finger abzufrieren scheinen, wenn

er in die Hocke geht. Niemand führt mir die
Klappohren, die Wüstenkatzen mit ihren

frisch geschnittenen Krallen vor. Ich klopfe
einfach wahllos an die Scheiben, bis was zuckt.


VI

Überall Rattengift. Ich stehe da, vor
mir im Schrank das Affenarsenal eines
Napoleon, Plexiverschläge, Teppich,

Stapelware: der lange Orang-Utan,
gezähmt, aber noch immer beißig, scharf, der
Pavian, ähnlichen Naturells, und dann

die Meerkatze aus Übersee. Unten döst
ein Mandrill, zurechtgefärbt, im Wachzustand

ein Junge mit ner heißen Phantasie. Sein
Kraftfutter, und seine Lichtempfindlichkeit.


VII

Manchmal hört man sein Kreischen, Knabenlachen
vorn bis an die Straße. Manchmal greift er sich
wie schlaftrunken an den Schädel und scheint im

nächsten Augenblick eine ganze Handvoll
Gehirnmasse hervorzuholen. Ich seh

es nicht genau, er starrt die Kunden an, im
Neonlicht wirken ihre Gesichter schmal.


VIII

Es braucht einen feinen Mädchendiscant, um
solche Partien auch vor Zuhörern zu
liefern. Naturlaute, nubische Nüsse,

Freaks. Mich, Trude Herr, die äthiopische
Karawane mit Elefantenschnobern
und Giraffen, mit Löwenknirschen in den

Käfigen. Entsprungene Tiger. Jemand
souffliert den Panthern und Hyänen, jemand
fährt mit der Pranke über den Mund, er fährt

die übelsten Safaristrecken ab, macht
Tiere mit stark entstellten Gesichtern und

Gestalten nach. Absonderlich. Die Stimme.
Die Ohrwürmer rumoren. Haltungsfehler.


IX

Palmwein und Punschvulkan. Damals, als man noch
balla-balla sagte, völlig ernst, wurde
uns beigebracht, die Dialoge einfach

wegzurotzen. Als redeten wir unter
unsere eigene Achsel. Ein Wort wie
Safarifresse etwa muß auf diese

Weise gesprochen werden, was immer es
auch meinen soll, ein Wort, das niemandem leicht

über die Lippen kommt, Safarifresse,
wie ein Hosenlatz. Die Klapphockergestalt.


X

Still ist es. Es ist kalt. Ich glaube, daß es
Panther gibt, ich glaube, daß es Bären gibt,
ich glaube, daß die Klapperschlange giftig

ist. So spricht jemand, aber die Zunge schlägt
nicht ans Gebiß, die Lippen zittern nicht, der

Mund wird auch nicht von der Hand verdeckt. Seine
Hände sind nicht zu sehen, Hände sind nicht da.


XI

Mit Mückenstichen. Dicke Finger. Er sah
Timbuktu und sah Samarkand, den Niger
und den Nil, die Wälder Afrikas. Und Schilf,

wie kann man soviel Schilf gesehen haben,
in keinem Atlas, in keinem Geschichtsbuch
finden sich ähnlich wilde Ufer. Aber

er sah die Palmenhaine Libyens und
die Sahara, Nubiens Sonnenfeuer,
Mauretanien. Er hat die sandigen

Flammen der Wüste von Äthiopien
gesehen, die roten, schwarzen Sonnen, Schilf

und Mücken, die sich von aufgedunsenen
Händen nicht erschlagen ließen, nirgendwo.


XII

Wenn die Kontakte kommen, suche ich gleich
nach einem kleinen Finger, der mir alles
sagt. Bergfilme kenn ich schlecht. Nächste Frage.

Man kann sich gar nicht sattsehen an dieser
Haut, am Schurz, an diesen Zähnen. Aber auch
ich, verrät die Photographin, habe mein

Giftfläschchen immer dabei, so macht das hier
jeder Knabe. Hier, diese Filmdose ist

präpariert. Ein Griff. Oder ein Bild. Man muß
die Dinge sauber auseinanderhalten.


XIII

Wer kratzt uns dann die alten Nubaposter
von der Wand, wenn wir erledigt sind, wenn wir
genug gesehen haben. Die Haut wirkt wie

durchleuchtet, Schneegesichter, keine Farbe.
Wer wird von Leichen sprechen. Und wer wäscht uns

dann die Haare, wer knipst noch einmal meine
Augen, meine Augen, meine Augen. Fort.


XIV

Ich lege Tigerschminke auf, ich spiele
Punschvisage, ich schalte die Musik zum
Kindermachen an. Berdoa, Hannibal,

Gothland, beiseite. Ich möchte mir einen
Nickipullover überziehn, es riecht nach
Katzenpisse in meiner Erinnerung.

Vom Nebenzimmer her Geräusche, jemand
spricht, Kindheit, fahr hin samt deinen Kindern, fast
eine Stimme, wie wenn Tapetenstreifen

reißen. Mein Nachtgeschirr, mein Bauernbrei, wem
gehört dieses fade Affengesicht, und

wem dieser schielende Blick. Still, es ist ja
der Wandkalk, ein leichter Hyänenschaden.

                                                   [Marcel Beyer  (1965-)]

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