|
Wie der
Steppenwolf in Seoul seine Heimat fand
Wunder der
Globalisierung: Die wahre Fangemeinde lebt in Asien. Ein Koreaner
baut dem Dichter das größte Museum
Hans Christoph Buch
"Sie ereifern sich darüber, dass ihre
Mitstudenten in mir nicht einen Helden und Märtyrer der Wahrheit
sehen, sondern nur einen kleinen, sentimentalen Poeten aus
Süddeutschland", schrieb Hermann Hesse 1947 an einen
jugendlichen Verehrer in Japan, wo seine Bücher schon vor dem
Krieg in hohen Auflagen verbreitet waren. "Und so blicken
nun wir beiden, Sie junger Japaner und ich alter Europäer, etwas
wunderlich einer zum andern hinüber, jeder beim andern etwas
vermutend, was ihm selbst nie ganz erreichbar war. Ihr Zen wird
Sie, so vertraue ich, vor dem Exotismus wie vor dem falschen
Idealismus schützen..."
Hermann Hesses Ruhm in Asien beruhte vor allem auf seinem Buch
"Siddharta", das bald nach seinem ersten Erscheinen
1922 ins Japanische und von dort, auf dem Umweg über die
gemeinsame Schriftkultur, ins Chinesische und Koreanische
übersetzt wurde und seinen Ruf als kultureller Vermittler
zwischen Orient und Okzident begründete. Aber auch die ganz
anders geartete Erzählung "Steppenwolf", für viele
Hesse-Fans ein Verrat an den durch "Siddharta"
geweckten Erwartungen, traf in Asien auf breite Resonanz: weil
sich hier moderne Zeitkritik mit einem zeitlosen Thema verband -
der Jugendrevolte gegen die starren Konventionen der
bürgerlichen Gesellschaft, wie sie in anderer Form auch Goethes
"Werther" und Salingers "Fänger im Roggen"
verkörpern. Diese drei Titel avancierten im Fernen Osten,
einschließlich der Volksrepublik China, zu Bestsellern. Dabei
ist durchaus nicht alles in Asien erfolgreich, was in Westeuropa
oder Nordamerika gut läuft: Die Thriller von Stephen King sind
in China ein Flop und lösen dort nur ein müdes Lächeln aus,
während der im deutschen Sprachraum fast vergessene Adalbert
Stifter sich in Japan hervorragend verkauft.
Die unterschiedliche Rezeption zeigt die Grenzen der
Globalisierung auf. Während die an Marx, Mao und Marcuse
orientierten APO-Studenten Hermann Hesse als weltfremden Dichter
belächelten, wurde dessen "Steppenwolf" in den USA zum
Kultbuch der Hippiebewegung, die darin ihre wichtigsten Motive
gebüdelt fand: die Faszination durch Drogen und Sex, die Absage
an Krieg und Gewalt und den als große Verweigerung bezeichneten
Protest gegen das Establishment. Ganz ähnlich verlief die
Hesse-Rezeption in Südkorea: Die Studentendemonstrationen waren
hier noch heftiger, weil sie sich gegen ein von den USA
gestütztes Militärregime richteten und mit dem Trauma der
japanischen Besetzung und des Koreakriegs verbanden, der zur
Teilung des Landes geführt hatte. "Wenn Hermann Hesse heute
nach Seoul käme", sagt der 1952 geborene Lee Sang-Young,
der sein ererbtes Vermögen und seine gesamte Arbeitskraft der
Verehrung des 1962 verstorbenen Dichters widmet, "würde das
öffentliche Leben zusammenbrechen. Ganz Korea stünde Kopf:
Nicht nur die Studenten, auch viele Wirtschaftsführer und
Politiker - bis hin zum Staatspräsidenten und
Friedensnobelpreisträger Kim Dae Jung und dessen Frau - sind
begeisterte Leser des ,Steppenwolf' und des ,Demian', nach dem in
Japan sogar eine Supermarkt-Kette benannt ist. Selbst Nordkoreas
Diktator Kim Jong Il gilt als Hermann-Hesse-Fan!"
Zur Erklärung dieses Phänomens führt Lee Sang-Young
kulturhistorische Gründe an. Schon vor dem ersten Weltkrieg habe
der buddhistische Mönch Han Kong Un in japanischen Zeitschriften
erschienene Übersetzungen von Hesses frühen Gedichten nach
Korea mitgebracht, und seit Jahrzehnten werde der deutsche
Dichter von Pädagogen zur Lektüre empfohlen und rangiere auf
der Beliebtheitsskala unter Schülern und Studenten auf Platz
eins. Südkorea ist ein religiöses Land, in dem christliche und
buddhistische Sekten regen Zulauf haben; die Sinnsuche in Hermann
Hesses Werk spricht die kulturell entwurzelten, in ihrer
Identität verunsicherten Jugendlichen an, die sich in der
transzendentalen Obdachlosigkeit seiner Helden wiedererkennen.
Dabei wird Hermann Hesse, anders als im deutschen Sprachraum,
politisch rezipiert. Vom Vorbild des "Steppenwolf"
inspiriert, beteiligte sich Lee Sang-Young an
Protestdemonstrationen gegen das Militärregime von Park
Chung-Hee, und nur durch die Lektüre des "Demian" und
des "Glasperlenspiels" überstand er die mehrmonatige
Haft in einem Spezialgefängnis für Studenten, deren
Widerstandswillen durch physischen und psychischen Terror
gebrochen werden sollte. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis
hielt er Hermann Hesse die Treue. Er verkaufte Gemälde seines
Großvaters, der ein bekannter Künstler gewesen war, erwarb auf
Auktionen und in Antiquariaten Bücher und Bilder, Erstdrucke und
Manuskripte seines Idols. Als Copyright-Agent für Kunst,
Literatur und Film reiste Lee Sang-Young kreuz und quer durch
Europa und suchte Liebhaber und Freunde von Hesses Werken auf,
die er durch sein geduldiges Insistieren dazu brachte, ihm ihre
wertvollsten Stücke zu verkaufen - zum Ärger seiner Familie,
die sich über die Geldverschwendung beschwerte, sowie seiner
Frau, die eine außereheliche Affäre dahinter vermutete.
In 15-jährigen Recherchen hat Lee Sang-Young auf diese Weise
eine einmalige Kollektion zusammengetragen, deren reicher Bestand
alle Sammlungen Europas übertrifft: 500 Briefe, ebenso viele
Manuskripte des Meisters, Erstausgaben seiner Bücher, 130
Zeichnungen und Aquarelle, 70 Objekte aus Hesses persönlichem
Besitz, zu denen sein Hut, seine Brille, sein Spazierstock
gehören - insgesamt 2 500 Objekte im Wert von 20 Milliarden Won,
was anderthalb Millionen Dollar entspricht. Um die Sammlung zu
präsentieren, wird auf einem von der Stadt Seoul zur Verfügung
gestellten Grundstück ein durch Spenden finanziertes Museum
errichtet, das im Beisein von Hesses Sohn Heiner im Jahr 2002
feierlich eröffnet werden soll. Obwohl auch Japan eine
Hesse-Gedenkstätte plant, hat der 92-jährige Heiner Hesse Seoul
den Zuschlag gegeben und den in seinem Besitz befindlichen
Nachlass des Vaters dem Museum vermacht.
Hermann Hesses ungebrochene Popularität in Asien ist nicht
allein darauf zurückzuführen, dass er Indien bereiste, wo seine
Großeltern als Missionare gewirkt hatten, und dass er im
"Siddharta" das Leben Buddhas geschildert hat, dessen
jahrtausendealte Kolossalstatuen gerade von afghanischen
Taliban-Kämpfern gesprengt wurden. Alles schon dagewesen, hätte
Hesse dazu gesagt, denn der Kreislauf von Geburt und Tod,
Zerstörung und Wiederaufbau ist in seinem vom Buddhismus
geprägten Denken vorherbestimmt. Nicht nur ihre Inhalte, auch
der Stil seiner Bücher lässt Hesse japanischen und koreanischen
Lesern als Wahlverwandten erscheinen, dessen ästhetische
Sensibilität ihr eigenes Empfinden widerspiegelt. Aus
asiatischer Sicht ist der süddeutsche Sonderling, der vor den
Zumutungen seiner Zeit in eine Tessiner Einsiedlerklause floh,
mehr als nur ein romantischer Malerpoet: ein buddhistischer
Weltweiser, ein Zen-Meister der europäischen Literatur.
[Der Tagesspiegel, Sonnabend,
17. März 2001]
| a
|
entrada |
Llibre del Tigre |
sèrieAlfa |
varia |
Berliner Mauer |
|
|